Herrscher

Die Liebe macht blind und gefügig, sagt man – ja, denk sie sich, heut weiss ich wohl, da ist auch was dran. Gefügig hat er sie gemacht, ganz durchdacht, fast über Nacht. Er stand da, so stramm und männlich und gross, musste gar nicht viel tun, nahm ihre Hand und zog sie mit sich fort, in ein anderes Leben, an diesen anderen Ort. Mit aller Macht, sie sah es nicht einmal, ermannte er sich ihrer und es wurde ihr zur Qual. Doch lange, lange, lange Zeit erst später konnte sie das sehen und wieder eigene Wege gehen. Zuvor, ja ach, so lange schon, sie lebte ein Leben in Widersprüchen, in unsicheren Sicherheiten, voll Niederträchtigkeit, voll Angst und Hohn. Kein falsches Wort mehr, drohte er, zog sie damit hinab, mehr und mehr. Im Tränenmeer verkroch sie sich, legte die Hände über ihr Gesicht, stieg hinab die dunklen Treppen in die Einsamkeit, wollte nur ihre Ruhe, sehnte sich nach dem Weg in eine neue Zeit. Sie fand ihn nicht, nicht draussen, nicht unten in den Kellerräumen; sie hatte vergessen wie das ging, zu träumen. Er beherrschte sie und ihr ganzes Denken, jede Minute ihres Lebens müsse sie sich in seine Bahnen lenken. Jede noch so kleine Einfachheit konnte ein neues Chaos bedeuten, vor allem nach dem Jawort, das liess eine neue Zeit einläuten. Denn damit war es wie besiegelt, Herrscher konnte freudig sehen, wie sie alles hegt und striegelt, Herrscher war ganz froh darüber; schloss abends frisch behutsam seine Lider, erhob sich jeden Morgen aus dem Gemach; wenn sie – schon auf, am Werken, wach – ihm alles bereitet und er sich trotzdem weiter streitet. Wie ein Dorn, so sass der Schmerz, drückte ihr in Seele und Herz und bohrte sich ein tiefes Loch, in das sie sich immer weiter einschloss und verkroch. Zu viel Scham und zu viel Angst, als dass sie drüber sprechen mochte, denn alle Lieben um sie herum hatte sie schon fortgestossen; sie wiegte sich in ihrem Kummer, liess kaum Gefühle noch an sich heran, weder die kleinen noch die grossen. Denn Gefühle, so hatte sie gelernt, können sie beherrschen und Herrscher hatte das nicht gern, denn er allein hatte die Macht, egal ob Tag oder Nacht, egal, ob in der Wirklichkeit oder zu welch undenklich unpassender Zeit; egal ob in ihrem Verstand und Traum, oder über einen Gardinensaum – die Macht zu haben, das oblag ihm allein, die Macht getarnt als Liebe, Grossherzigkeit und vielem anderen Schein. Sie beugte sich und gab manches Lächeln in die Welt, sie grämte sich, weil ihr ihre eigene Lüge so missfällt – wie konnte sie das nur ertragen, wie konnte sie in diese Misere sich lenken, sich fahren? Und plötzlich fiel es ihr alles wieder ein: es war seine Kraft, sein Mut, sein ganzer äusserer Schein. Sein Haben und Wollen, sein Sich Nehmen, sein tiefstimmiges Grollen; es war seine entsetzlich einfache Art, das gebrochene Herz im Auge zu tragen; es war ihr unmöglicher Sinn für die Rettung des weichen Kernes, ohne danach zu fragen. Doch guten Mutes und Gutmütigkeit sind nicht eins, denn sie spürte dann und wann, dass das, was sie antrieb und das was wahr war, nicht mehr stimmte – einfach, keins. Es war zu viel, er war zu viel, denn er war Herrscher, durch und durch. Nicht aus der reinen Niederträchtigkeit und nicht aus einem ursprünglich widerwärtigen Sinne heraus, nein das nicht. Er war er, Herrscher war einfach ein eigennütziges und grundverschiedenes Stahlgesicht; anders als sie, mit ihrem weichen Sein, mit dem Guten in jedem Menschen zu sehen, mit Naivität und mit Fürsorglichkeit – das wich ab von Herrschers erhabener Vorstellung ihrer Zeit. Und sie lebten, ja sie liebten sich auch dann und wann, doch oftmals gerieten sie aneinander, denn das das so nicht funktionieren kann, sieht jeder, irgendwann. Zwei, so ungleich wie Zeit und Raum, sie erhoben den Anspruch auf ein gemeinsames Leben, verrieten die Wirklichkeit für ihren Traum. Und sie sah, es kann nicht weiter gehen, Herrscher wird mir sonst alles nehmen, so dachte sie. Und mehr noch als das ganze Wunschdenken ihrer Phantasie nahm sie eines Tages allen Mut zusammen und raffte sich auf mit dem waghalsigen Gedanken: Ich flieh! Und sie floh, ohne Worte, verliess des Herrschers Orte. Natürlich war sie sich im Klaren, dass das auch nicht der Weg ist, so wie sie waren. Doch sie konnte nicht sprechen, konnte nicht reden, konnte sich dem Blicke nicht ermächtigen, hatte Angst zu zerbrechen, anstatt zu gehen. So schrieb sie es nieder, so wie sie es wusste, wie sie es konnte nur; brach mit allem, auch mit dem einst für die Ewigkeit gegoltenen Schwur. Ihr brannte das Herz, ihr brannte das Leid; sie wollt ihn nicht brechen, doch es war an der Zeit; der Zeit zu gehen, sie musste es tun – und heut gilt ihr Dank, auch Herrscher weiss das nun. Und Herrscher lernte jetzt, was sie ihm bedeutete, was er an ihr geschätzt‘ – doch zu spät, so wie er nun weiss; denn Herrscher musst sich brechen, durch seine steinharte Schicht von Gefühllosigkeit und Eis.

150117

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